Holz als poetischer Werkstoff
Moderne Materialkombinationen
Holz in Kombination mit Stahlrohr ist eine der Materialkombinationen, die die Entwürfe des Bauhauses weltberühmt machten. Stahlrohr stand in der Moderne für Fortschritt und die Industrialisierung, während Holz einen klassischen Werkstoff aus dem Tischlergewerbe darstellte.
Anfang dieses Jahres wurde eine Neuauflage ausgewählter Thonet-Klassiker veröffentlicht, in der diese Materialkombination von niemand Geringerer als der deutschen Modedesignerin Jil Sander feinfühlig neu interpretiert wurde. Die charakteristischen Formen des Freischwingers S 64 von Marcel Breuer bleiben dabei erhalten. Das Stahlrohr – seit dem Bauhaus ein Klassiker im Möbeldesign – wird dabei behutsam mit Elementen aus weiß pigmentiertem Eichenholz kombiniert. Diese Holzelemente markieren – sanft angepasst an die Rundungen des Rohrs – jene Punkte, an denen der Stuhl mit dem Körper in Kontakt tritt. Das Eichenholz fungiert somit als Material des Übergangs, als haptische Schnittstelle zwischen Mensch und Objekt.

Einblicke in den Designprozess von „After“. Fotos: Fritz Hansen
Klassische Formen mit einem Twist
Der dänische Hersteller Fritz Hansen, dessen Ursprünge wie bei Thonet im ebenfalls Tischlerwesen liegen, setzt in seiner neuesten Serie auf bewährte Techniken und die Reduktion von klassischen Formen. Für „After“ hat der Designer Michael Anastassiades die Rundungen der Entwürfe mit der Strenge von Vierkanthölzern kombiniert. Die Verbindungen zwischen den Leisten werden so nicht kaschiert, sondern kontrastierend als gestalterisches Highlight platziert.

Der „Chandelier“ aus der „Formation“-Serie (2024) von Formafantasma. Credit: Courtesy Friedman Benda und Formafantasma. Fotos: Marco Cappelletti
Skulpturale Strenge
Noch eine Spur strenger geht es bei diesem Entwurf zu: Fast klinisch und doch skulptural wirkt der „Chandelier“, den das Designstudio Formafantasma in Zusammenarbeit mit der Galerie Friedman Benda entworfen hat. Er ist Teil der „Formation“-Serie: Einer Reihe limitierter Holzobjekte, die durch ihre statische Präsenz und grafische Formensprache auffallen und in ihrer radikalen Klarheit aktuelle Gestaltungstendenzen zitieren. Ihre kühle Strenge wird allein durch das verwendete Material – warm getöntes Kirschholz – durchbrochen, das ihnen eine stille Sinnlichkeit verleiht. „Formation“ setzt sich mit Archetypen des Möbeldesigns auseinander und bewegt sich an der Schnittstelle von Konzeptkunst und Luxusobjekt.

Fürs Wohnzimmer oder für den Esstisch: Der PK23 (links) und der PK 3 (rechts). Fotos: Fritz Hansen
Formholz-Revival: Ein Mid-Century-Klassiker ist zurück
Formholz – also die Verformung von Holz durch Hitze und Druck – war für das Mid-Century-Design absolut stilgebend. Ein echter Klassiker in diesem Genre ist beispielsweise die Serie 7 des Herstellers Fritz Hansen.
In diesem Jahr holt der Hersteller einen vergessenen Entwurf aus der Schublade: Obwohl die Stühle PK 23 und PK 3 bereits 1954 vom dänischen Designer Poul Kjærholm für eine Firmenzentrale erdacht wurden, wurden seine Entwürfe letztlich nie realisiert. Erst 2006 fertigte Fritz Hansen einen Prototyp des PK23 für eine Ausstellung im Louisiana Museum of Modern Art an. In diesem Jahr folgt nun die marktreife Version des PK23 und des PK3 – die sich gut in aktuelle Gestaltungstrends einfügt, ohne zu retro zu wirken: An Schmetterlingsflügel erinnern die beiden Stuhlmodelle, die jeweils aus zwei achsensymmetrischen Formholzteilen bestehen. Der Kniff: Die beiden separaten Sitzschalen werden durch eine doppelte Metallverbindung zusammengehalten. Während der PK23 als Loungestuhl konzipiert wurde, ist der PK3 als klassischer Stapelstuhl für den Esstisch gedacht. In drei verschiedenen Varianten (schwarz lackierte Esche, klar lackierte Eiche und klar lackierter Nussbaum) lassen sie sich erstaunlich vielseitig einsetzen.

Farbenfroh kommt die Serie 270 F daher. Foto: Verpan
Sixties, but make it contemporary
Mit dem neu aufgelegten, sesselartigen Stuhl der Serie 270 F greift der Hersteller Verpan in diesem Jahr das Werk eines Meisters der Kurven neu auf: Das besondere Sitzmöbel wurde nämlich ursprünglich 1965/66 vom dänischen Designer Verner Panton für die Gebrüder Thonet entworfen. Angetrieben von der anhaltenden Sehnsucht nach einer Gestaltungssprache, die Elemente der 1960er- und 1970er-Jahre zitiert, ist dieser retrospektive Kunstgriff als durchaus clever zu bezeichnen. Der aus zertifiziertem, geformtem Birkensperrholz gefertigte Sessel fügt sich ideal in ein heutiges Verständnis zeitgenössischer Raumgestaltung ein. Er bringt eine gewisse konzeptionelle Stringenz und Strenge mit, wirkt aber durch die bewusst sparsam eingesetzten Kurven trotzdem keineswegs unterkühlt. Auch vor Statement-Farben schreckt Verpan bei diesem Re-Release nicht zurück und bietet die Serie unter anderem in kräftigem Rot, Blau, Gelb und – eine Hommage an die Sixties – Orange an.

Reduzierte Materialverwendung trifft auf maximales Design. Fotos: COR
Raffinierte Details
Bereits Anfang dieses Jahres brachte der deutsche Hersteller COR seinen neuen Dining Chair „Kagu“ auf den Markt. Der Entwurf vom Stuttgarter Studio Jehs + Laub besticht vor allem durch feine Details. Zwar bildet Holz das sprichwörtlich tragende Fundament des Entwurfs, doch wird es hier auf das absolute Minimum reduziert: Konisch zulaufende Rundhölzer, schlicht und nahezu unsichtbar verzapft und verleimt, erwecken hier den Eindruck, als ob die üppig gepolsterte Sitzschale über dem Gestell zu schweben scheint. Ein raffinierter Entwurf, der wahlweise in Eschen- oder Eichenholz erhältlich ist.

Holz als Träger der Erinnerung in einem expressiven Entwurf von Niko June. Foto: Niko June
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart: edles Upcycling
Mit „Sommerfugl“ präsentiert das in Kopenhagen ansässige Designstudio Niko June eine Hommage an die Bewegung. Ausgangspunkt der Serie sind ausrangierte Schulstühle, die behutsam transformiert wurden. Jedes Stück bleibt ein Einzelstück: Kratzer, Gebrauchsspuren und kleine Makel bleiben erhalten. Statt Perfektion zu inszenieren, versteht „Sommerfugl“ Gestaltung als Spiel mit Erinnerung, Material und Bewegung – ein poetischer Flügelschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Als experimentelles Konzept ist das Projekt weniger als Serienprodukt, sondern vielmehr als lebendige Skulpturensammlung zu verstehen – als Denkübung in Wertschätzung, Wandel und Handarbeit. „Sommerfugl“ reiht sich damit ein in eine lange Geschichte der formgewordenen Kurve: von den dampfgebogenen Bugholzstühlen Thonets über den Modernismus der Nachkriegszeit bis hin zu heutigen Holzarbeiten. Die Form ist hier nicht bloß ergonomisch, sondern erzählerisch. Sie trägt Spuren, erzählt Geschichten und zeigt, wie Design auf die Vergangenheit reagieren kann. Hier dient der Werkstoff Holz nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern bleibt Träger von Emotion und Erinnerung.
Ob skulptural, reduziert oder expressiv – die aktuellen Holzmöbeltrends zeigen eindrucksvoll, wie vielseitig der Werkstoff im Design interpretiert werden kann. Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Thonet, COR und viele weitere spannende Marken sind auch auf der idd cologne 2025 live erlebbar.