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Ist jeder Mensch ein Kurator?

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Wir alle wählen aus, was wir uns ins Zuhause holen. Nicht immer sind diese Entscheidungen durchdacht. Manchmal erwerben wir etwas im Affekt, manchmal aus reinem Pragmatismus. Oft sind es aber auch ästhetische Beweggründe, aus denen wir eine Verbindung zu einem Möbelstück aufbauen.

Seit einigen Jahren ist der Begriff der Kuration im Mainstream angekommen. Der sich vom lateinischen Begriff „curare“ („sich kümmern um“) abgeleitete beschreibt heute vor allem die Arbeit mit Kunstwerken. Der Kurator oder die Kuratorin kümmert sich meist um das Zusammenspiel und die Komposition einer Ausstellung.

Diese Praxis dringt auch immer mehr in den alltäglichen Wohnraum vor. Sie lässt sich anhand verschiedener Formen als gegenwärtiges Phänomen beobachten: zum Beispiel beim vermehrten Aufkommen von Collectible-Design-Objekten – also Kleinstauflagen von Gegenständen oder Möbeln, die teilweise in Handarbeit hergestellt werden. Oder Orten, die als Case-Studies oder Leuchtturmprojekte verbildlichen, wie kuratiertes Wohnen aussehen kann. Außerdem auch anhand von Ausstellungen, die sich zwar der Kunst annähern, aber im Grunde eine kuratierte Zusammenstellung von Wohn- und Lebenswelten sind. 

Während dieses Phänomen durchaus Elemente eines luxusorientierten Lifestyles aufweist, kann das bewusste Auswählen und Konsumieren auch dazu führen, dass Einrichtungsentscheidungen weniger nach schnelllebigen Trends und mehr im Sinne einer Langlebigkeit getroffen werden. Immerhin haben Kurator:innen in der Kunst in der Regel auch eine Haltung hinter ihrer Auswahl. Hier nun also eine Zusammenstellung von vier Übertrends des kuratierten Wohnens und Lebens. Oder frei nach Beuys: Sind wir nicht alle Kurator:innen?

Übertrend Nr. 1: Kuratiertes Wohnen – in Ausstellungsform

Kunstwerke in einem historischen Raum mit großen Fenstern und Holzböden.

Ausstellung „The Boundaries of Sight“, kuratiert von Teo Rhe, Sheyang Li und Jaehyun Byun. Foto: NAMSEUNGROK

Ein Übertrend, der seit einigen Jahren die Designszene dominiert, sind sogenannte Collectibles – also Einrichtungsgegenstände und Möbel von Studios und Designer:innen, die in Kleinstserien oder als Einzelstücke konzipiert werden. Entsprechend werden sie meist direkt von den Designer:innen hergestellt, ohne einen großen Hersteller im Hintergrund – ähnlich wie ein Prototyp oder eben ein exklusives Handwerksstück. Diese Stücke werden meist direkt oder über spezialisierte Galerien an den Endkunden verkauft.

Aufgrund der speziellen Fertigung ist Collectible Design oft verspielter, aufwendiger, direkter und unangepasster als klassische Entwürfe. Das erfordert zum Teil auch neue Arten der Präsentation und erklärt vielleicht auch, warum Collectibles oft in Gruppenausstellungen gezeigt werden, wo sich durch ihre Kombination ganz neue Kontexte ergeben. Der White Cube wird so zum Wohn- oder Arbeitsraum, in dem die Objekte in einen gemeinsamen Dialog treten. Hier zu sehen in der Ausstellung „The Boundaries of Sight“ kuratiert von Teo Rhe, Sheyang Li und Jaehyun Byun.

Kunstvolles Design: Links eine beleuchtete Tischlampe aus dünnem Material, rechts eine Bank aus massivem Material mit einzigartigem Design.

Auf der linken Seite die „Soft Ply Table Lamp“ von Sheyang Li, auf der rechten Seite die „Surfaced Bench“ von Sho Ota. Foto: Pim Top

Links: Vase mit Blumen vor einem dekorativen Vorhang. Rechts: Designerstuhl mit flauschiger Rückenlehne neben einem minimalistischen Beistelltisch mit Lampe.

In der Ausstellung „40 m²“ zeigten 40 Designer:innen 38 von ihnen gestaltete Objekte. Oft angewandt – wie etwa das Clip-On-Light „Aden“ von Maxine Granzin–, mitunter auch surreal, wie der Broom Chair von StudioŒ. Fotos: Gina Bolle

Ein bisschen praktischer, weil klar im Produkt- und Industriedesign verortet, wurde es in der Ausstellung 40 m², in der 40 Designer:innen ihre 38 gestalteten Objekte zeigten. Darunter beispielsweise der Broom Chair von StudioŒ aus Berlin, der sicherlich manche Besucher:innen ratlos über seinen Komfort zurückließ. 
Der Designer Justus Hilfenhaus konzipierte und kuratierte diese Zusammenstellung von Objekten, die es nie in Serie gingen und daher als ewige Prototypen bestehen. Die Ausstellung hob genau die Potenziale hervor, die in diesem Zwischenraum entstehen.

Innenraum mit minimalistischen Möbeln, darunter ein runder Tisch und kontrastierende Stühle aus unterschiedlichen Materialien.

Auf den zweiten Blick liefern Collectible-Ausstellungen auch oft einen augenzwinkernden Kommentar auf unsere Wohnwelten, indem sie sie gleichzeitig imitieren und überhöhen. So auch in der Ausstellung „Near, Far, Wherever You Go“, kuratiert von Bureau Fomo (Hanna Gassner und Christoph Wimmer-Ruelland) aus Wien: eine Anlehnung an einen dystopischen Tag im Home Office, wo ein rauchender Laptop zwischen eigenwilligen Büromöbeln langsam in einer Ecke vor sich hin schmort.

Links: Ein Hocker aus Holz und ein ungewöhnlich geformtes Designobjekt. Rechts: Eine Liege mit weichen Polstern, daneben eine Stehlampe mit einem künstlerischen Touch.

Loungesessel und ein qualmender Computer: Die Ausstellung „Near, Far, Wherever You Go“, kuratiert von Bureau Fomo. Linkes Bild: Blumengesteck von Alma Bektas, Leuchte von Flora Lechner, Objekt von Christoph Wimmer-Ruelland und Schreibtischstuhl von Jun Fujisaku. Rechtes Bild: Sessel von Studio Kuhlmann. Laptop-Installation: Xenia Lesniewski. Fotos: Bureau Fomo

Übertrend Nr.2: Kuratierte Kreativorte

Unweit von Berlin, im brandenburgischen Grünen, entsteht mit dem Flussbad ein Ort, der Wohnen, Lernen, Essen und künstlerische Praxis zu einem Gesamtkonzept verbindet. Das Herzstück des Projekts ist das Reethaus, entworfen von der österreichischen Architektin Monika Gogl. Ein Gebäude, das sich stilistisch irgendwo zwischen ostfriesischem Reetdachhaus, brutalistischer Betonkirche und buddhistischem Kloster bewegt. Gogl versteht den Bau als Hommage an alte Tempel, Höhlen und andere natürliche Rückzugsorte.

Links: Ein modernes Gebäude mit geometrischen Formen und Betonfassade. Rechts: Innenraum mit minimalistischen schwarzen Sitzmöbeln und Holzverkleidungen.

Ruhig, elegant, brutalistisch: Das Reethaus wurde von der österreichischen Architektin Monika Gogl entworfen . Foto (links): Massimiliano Corteselli. Foto (rechts): Clemens Poloczek

Das Reethaus beschreibt sich selbst als „Raum für radikale Präsenz“. Unter dem handgedeckten Reetdach trifft roher Zement auf meditative Stille, ergänzt durch ein 360-Grad-Soundsystem und eine Öffnung in der Decke, die den Raum mit dem Himmel verbindet. Jeden letzten Sonntag im Monat wird hier zu experimentellen Soundperformances eingeladen.

Das Flussbad steht exemplarisch für eine neue Generation kuratierter Kreativorte : Orte, die nicht nur gestaltet, sondern komponiert werden. Wie im privaten Wohnraum, wo das bewusste Auswählen von Objekten zunehmend als kuratorische Praxis verstanden wird, zeigt sich auch hier ein Denken jenseits des Funktionalen. Architektur wird zur Haltung: ein sorgfältig arrangierter Raum, der ästhetische Erfahrung, Achtsamkeit und Gemeinschaft verbindet.

Übertrend Nr. 3: Kuratierte Third Spaces, die ans eigene Zuhause erinnern

Zwei Bilder eines minimalistischen Innenraums mit grünlichen Glaswänden und Holzmöbeln. Links ein langer Holztisch mit Hockern und Dekoration, rechts kleine runde Tische mit Stühlen.

Wohnlich Kaffee trinken – das geht im Acid P-Berg in Berlin, gestaltet von Studio Plantea aus Madrid. Fotos: Daniel Farò

Cafés gelten als sogenannte Third Places – Orte zwischen Arbeit und Zuhause, an denen man Zeit verbringt, Menschen trifft oder einfach in Ruhe sitzt. Damit sie diese Funktion erfüllen können, spielt die Gestaltung eine entscheidende Rolle: Ein Café muss nicht nur funktional sein, sondern vor allem Atmosphäre schaffen.

In den vergangenen Jahren hat sich dieser Anspruch spürbar verändert. Durch die Instagrammisierung des Alltags ist Interior Design zu einem zentralen Teil der Café-Kultur geworden – das Ambiente zählt mittlerweile oft genauso viel wie der Kaffee. Neu ist jedoch, dass viele Cafés inzwischen nicht mehr nach Gastronomie, sondern nach Wohnraum aussehen. Statt cleanem Gastro-Look dominieren weiche Materialien, warme Farben und sorgfältig kuratierte Objekte, die ein Gefühl von Zuhause vermitteln.

Ein Beispiel dafür ist das Acid P-Berg in Berlin, gestaltet vom Madrider Studio Plantea. Hier trifft minimalistisches Design auf wohnliche Elemente – ein Raum, der sich anfühlt wie das perfekt komponierte Wohnzimmer eines Freundes. Solche Orte zeigen, wie sich die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum zunehmend auflösen – und wie Interior Design zur kuratorischen Praxis wird, die unseren Alltag formt.

Sie möchten noch tiefer in kuratierte Wohnwelten eintauchen? Dann entdecken Sie weitere Ideen im Archiv von idd cologne inspiration.